Schreibstube

Anfangen. Endlich.

Womit anfangen? Was für ein Anfang? Ich habe schon so viele Anfänge hinter mir. Jeder Tag ist ein neuer Anfang. Jede Begegnung. Jeder neue Text. Zuerst ist da nichts. Nicht viel. Eine Ahnung vielleicht. Etwas, das sich verdichtet. Gestalt annimmt. So man sich dessen annimmt. Sich hinwendet. Aufmerksamkeit eben dorthin lenkt. Da kann etwas entstehen. Werden. Noch undeutlich. Ungenau. Ein formloser Klumpen. Mit allen Möglichkeiten in sich. Es könnte das werden oder das. Oder gar nichts. Liegengelassen, vergessen, übersehen, für unwichtig befunden. Selbst dann aber kann im Dunkeln, im Unscheinbaren noch ein Anfang liegen. Vor sich hin keimen. Ungestört. Manchmal ist das Ungestörtsein sogar besser. Für den Anfang. Keine künstlichen Eingriffe, Verstümmelungen. Kein gewaltsames Zurechtbiegen. Auf den rechten Weg bringen. Stattdessen: einfach wachsen lassen. Werden lassen. Zuschauen, was sich aus einem Anfang entwickeln kann.

Rückblickend erscheint alles oft so selbstverständlich. Natürlich musste es so kommen. So war es vorgegeben. Vorgezeichnet. War es das? Warum ist aus diesem einen Anfang genau das geworden? Das und nichts anderes? Hätte es auch anders werden können? Eine kleine Abbiegung nach rechts, ein Schwenk nach links, eine kurze Pause, eine Unachtsamkeit, ein unerwartetes Ereignis – und die Dinge haben ihren Lauf genommen. Oder eine Wendung vollzogen. So war das nicht vorgesehen. Nicht erwartet. Nicht gewünscht. Das Ziel war doch ein anderes. Warum dann ist aus diesem Anfang dieses Ende geworden? Und wann hört ein Anfang auf ein Anfang zu sein? In einem größeren Kontext gar können Anfang und Ende und alles dazwischen gemeinsam erst der Anfang sein von etwas Neuem. Etwas Größerem, noch nicht sichtbaren.

Woher weiß ich, wann ein Anfang stattfindet? Oft erst im Nachhinein. Manchmal gar nicht. Nicht zur Kenntnis genommen. Übersehen, im Alltagstrubel untergegangen. Dieser erste Blick, wann war der noch? Wann kam der Gedanke erstmals, dass etwas so und so sein könnte? Wann die erste Gefühlsregung? Die erste Enttäuschung? Wann hat das Ende seinen Anfang genommen? Jeder Anfang hat ein Ende, sagt man. Und jedes Ende bringt einen neuen Anfang hervor. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Sagte Hermann Hesse. Manchmal aber auch Angst. Unwohlsein. Verzweiflung. Wenn ich diesen Anfang so nicht will. Wenn ich einen anderen Anfang wollte. Wenn mein Anfang nicht dein Anfang ist. Wenn sich Anfänge überlappen, mehrere zugleich stattfinden.

Mancher Anfang ist sehnlich erwartet. Da werden die Tage, die Stunden gezählt. Wann endlich – der erste Schultag, der Anfang des Erwachsenseins, der erste Urlaubstag, die Pension, Geburt, der erste Job, die neue Wohnung. Unser Leben ist voller Anfänge, tagtäglich, ununterbrochen. Anfänge gehen über in Enden und neue Anfänge. Kann ein Kreis einen Anfang haben? Wenn ich ihn zeichne, ja klar. Und kann die Veränderung des Anfangs nicht doch wieder ein neuer Anfang sein? Will ich neu anfangen? Jeden Tag, jeden Morgen, immer aufs Neue, immer wieder? Und wie kann ich ihn nützen, diesen neuen Anfang?

Und manchmal, da tut es auch einfach gut aufzuhören. Sein lassen. Abschließen.

Denn das schafft Platz für einen neuen Anfang.

 

(Veröffentlicht: Das archipelische Netzwerk / Austria-Forum, Mai 2025)