Erzählungen

Die Gans von Putlitz

Ich sitze irgendwo in der Nähe von Putlitz in einem Hotel Restaurant und warte auf mein Essen. Die Sonne scheint sachte und Putlitz liegt in Brandenburg. Ich lese die FAZ. „Country Manager Ukraine gesucht“ und „Der Sänger, der aus dem Nichts kam“. Besonders gefällt mir „Wie war dein Tag, Schatz?“, die Kolumne von G.M. Oswald. Es ist spätnachmittags und der Gastgarten ist leer. In diese Gegend verirren sich selten Menschen, vermute ich. Nur meine Zeitungsblätter rascheln im Wind. So was von nichts. Ist für eine gebürtige Städterin schon irgendwie seltsam. Ungewohnt. Mal ganz abgesehen davon, dass ich nicht wirklich eine Ahnung habe, wo genau auf diesem Kontinent ich mich gerade tatsächlich befinde. Nach mehreren Autofahrten und Flügen habe ich heute schon ein wenig den Überblick bzw. die Orientierung verloren. Aber ich vertraue selig darauf, dass es hier Menschen gibt, die mich finden (wollen) und auch wieder mitnehmen (wollen). Immerhin bin ich Kandidatin für einen der sieben Finalplätze beim Putlitzer Literaturpreis 2011. Auch wenn international kaum jemand Putlitz kennen wird, ich darf mich ab heute zum illustren Kreis deren zählen, die sich rühmen dürfen in Putlitz nicht nur gewesen zu sein sondern ebenda sogar einen Preis entgegengenommen zu haben. Viva Putlitz!

Aber zurück zu den Anfängen: Nachdem ich in Wien aus dem Flieger geklettert bin, bin ich in Wien in den Flieger geklettert – ab nach Berlin. Erstmals in meinem Leben betrete ich Berliner Boden. Wenn auch nur kurz. Ich werde unverzüglich abgeholt und in einem Zweisitzer Cabrio mit 160 auf der Autobahn nach Putlitz gekarrt. Unterwegs nur Autobahn, Wiesen, Felder, Wälder und Windräder. Viele, viele, um nicht zu sagen, sehr viele Windräder. Die Zeit vergeht quasi wie im Flug. Auch wenn wir im Auto sitzen. Wir landen am frühen Vormittag in der Pfarrscheune von Putlitz. Hier treffen sich Menschen, die schreiben und geschrieben haben und die mir heute einen Preis verleihen wollen. Ich schüttle diverse Hände, blicke in zahllose Gesichter, höre viele Namen und merke mir – nichts. Außer dass ich eben in viele fremde Gesichter geblickt habe. Später dann bringt mich Herr Putlitz aus Putlitz von Putlitz in mein Hotel, das viele Kilometer außerhalb „irgendwo im Gewerbegebiet“ liegt. Und da sitze ich nun gerade eben. Das Hotel ist eine flache Flunder, einstöckig neben einem Plätscherbach entlang gebaut. Die Zimmer sind sauber, hell und freundlich – weiße Möbel, grüner Teppichboden und hellblaue Bettwäsche – nein, tatsächlich das kann ganz gut zusammenpassen! Glanzfotos im Erdgeschoss zeugen von der Beliebtheit und Bedeutung des Hotels – immerhin sind einst schon Andy Borg und Monika Martin hier abgestiegen. Die anderen Herrschaften auf den Bildern kenne ich nicht, aber sie sehen sehr berühmt aus.

Ich mache ein Schläfchen im himmelblauen Einzelbett. Der Vorhand bauscht sich vor dem Fenster, draußen plätschert der Bach, das eine Windrad, das ich in der Ferne erkennen kann, dreht sich gemächlich und ohne Stress durch den Nachmittag. Unendlichkeit, hier könntest du deinen Anfang nehmen.

Später dann muss ich unter die Dusche, mache mich hübsch und fit für den großen Auftritt. Ich werde pünktlich abgeholt. Auf der Fahrt vom Hotel zurück nach Putlitz – im Auto ist es stickig und heiß – rinnt mir der Schweiß schon wieder herunter, Duschcreme ade. Wir sitzen zu viert in einem Winzlingsauto. Knapp vor 18 Uhr trudeln wir ein in Putlitz. Die Preisverleihung kann beginnen. Von allen Seiten strömen einzelne Menschen herbei. Wir wandern gemächlich zur Kirche (!). Eine Journalistin stürzt sich auf mich, macht ungefragt und blitzschnell Fotos aus gefühlten 2 Millimeter Abstand – ich lächle gequält und vermutlich faltenreich blinzelnd in die Sonne. Zu Fanfarenklängen (!) marschieren wir in die Kirche. Ich verstecke mich irgendwo zwischen Unbekannten in einer der mittleren Kirchenbänke. Reden, Erklärungen, Ansprachen, Dankesworte, Musik. Zwei graumelierte Herren bringen Klassik – mittels Gitarre und Querflöte, routiniert und professionell. Dann die Texte. Sieben an der Zahl. Sie werden vorgelesen von hiesigen Schülerinnen. Begonnen wird mit Platz sechs. Doppelt belegt. Zwei gute Texte. Gefallen mir, auch wenn ich einem inhaltlich nicht wirklich zustimmen kann (auch Arno Geiger würde aufjaulen), aber sprachlich gute Texte. Allesamt. Wie soll ich da mithalten können? Immerhin über 500 Bewerbungen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Sieben davon prämiert. Und  meiner darunter. Unglaublich. Ein paar Zwischenworte, wieder ein Text, Musik – wir arbeiten uns vor. Die Spannung steigt. Ich sehe mich um. Eine Kirche. Klassische Musik. Der Bürgermeister. Im Anzug. Adrett gekleidete Menschen. Kunstinteressiert. Eher konservativ, nicht so sehr flippig, avantgardistisch, hat`s den Anschein. Und da soll mein Text gelesen werden? Und da soll ich dann nach vorne gehen und mich outen? Ich würde lieber zum Mäuschen schrumpfen und mich klammheimlich rücklings aus der Kirche hinausschleichen. Hilfe, ich will nicht. Das ist nichts für mich. Ich will hier nicht im Mittelpunkt stehen, die Aufmerksamkeit aller auf mich ziehen. Nein, nein. Weg hier. Platz drei wird angekündigt. Das ist nicht mein Text. Ich mache mich unsichtbar. Knete die Finger. Überlege wie ich mich wegbeamen könnte. Wie bin ich bloß auf die haarsträubende Idee gekommen, hierher zu fahren!!! Platz zwei – auch das ist nicht mein Text. Das heißt, es bleibt nur mehr ein einziger Platz übrig für meinen Text, der allererste. Die Ahnung verdichtet sich zur grausamen Gewissheit. Ich werde da raus und den ersten Preis in Empfang nehmen müssen! In der Kirche. Mit diesem Text. Vor diesem ehrwürdigen, mehrheitlich ergrautem Putlitzer Publikum. Da vorne sitzt ein kleines Kind – soll ich die Mutter vorwarnen? Sie, dieser Text ist nichts für kleine Kinder! Keine Chance, meine Bitten und Gebete werden in dieser Kirche nicht erhört. Hochgradig irritiert nehme ich zur Kenntnis, während Autor zwei noch seinen zweitplatzierten Text liest, dass ausgerechnet mein Text zum Besten gekürt wurde. Zum Besten von über 500. Ein paar einleitende Worte, schon fällt mein Name, leicht abgewandelt, dann kommt der Text. Gelesen von einer hübschen Putlitzer Schülerin – die Ärmste, ich beneide sie nicht. Erkenne meinen Text kaum wieder. Das soll ich geschrieben haben? Haben die etwas geändert an meinem Text? Ich kann mich tatsächlich nicht mehr daran erinnern. Nehme mir vor später nachzulesen, ob das wohl wirklich mein Text ist. Die Schülerin liest gut. Flüssig und klar. Gottseidank hat sie diesen Job übernommen. Mein Herz pocht. Ich kenne den Ausgang der Geschichte – nicht gerade leichte Kost. Provozierend, brutal. Und das in einer Kirche voller Männer im mittleren bis fortgeschrittenen Alter – Halleluja. Amen. Tief durchatmen.

Tags darauf zuhause eingetrudelt lege ich mich erst mal auf die Couch und lasse die Seele nachkommen, die sich wohl noch in Putlitz herumtreibt. Immerhin – ich habe dieser Tage die erste Currywurst meines Lebens gegessen. Ich kann mich rühmen, zumindest nicht die erste und einzige Preisträgerin eines Literaturwettbewerbes zu sein, die mit einer Gans (aus Ton) ausgezeichnet wurde – es gab vor mir bereits welche und es wird nach mir welche geben. Immerhin ist die Gans das Wahrzeichen von Putlitz. Und immerhin bin ich noch beim Frühstück gemeinsam mit vielen anderen Autoren im bezaubernden Pfarrgärtchen gegessen mit selbstgemachter Marmelade, Kaffee, grünen Eiern und ich sehe den Menschen zu wie sie ihre Brötchen mit Marmelade bestreichen und darüber mit Käse belegen. Und voilá, Tom Liehr hat mich dann zurückgebracht zum Airport – mit 220 auf der Autobahn.