Die Stunde der Liebenden
Lucy Foley: Die Stunde der Liebenden. Insel Verlag, 2016
Man nehme ein richtig langes Wochenende, am besten mit Regen, Sturm und Schneegestöber, eine große Kanne Tee… und mache es sich auf der Couch gemütlich. Wichtigste Zutat: „Die Stunde der Liebenden“, Bucherstling der britischen Autorin Lucy Foley.
Ich bin regelrecht hineingefallen in die Geschichte. Sie fängt ganz harmlos an… mit einer glamourösen Gartenparty in England im August 1928. Der junge Tom trifft Alice wieder, eine innige Freundin aus Kindertagen. Das Leben hat sie damals auseinandergespült, jetzt stehen sie unerwartet wieder voreinander. Und Tom ist genauso fasziniert wie einst.
Dann schwenkt die Geschichte um, wir landen bei Kate, einer modernen jungen Frau, die in London lebt, in den achziger Jahren. Kate erzählt von ihrer Mutter, einer berühmten, begnadeten Tänzerin, von deren Schicksal als Waisenkind, ihrem tragischen Tod… und die Geschichte nimmt plötzlich und turbulent an Fahrt auf. Eine alte Zeichnung, die mit Kates Vergangenheit zusammenhängt, ein berühmter Künstler, der sich auf Korsika zurückgezogen hat, ein Architekt, der seinen Großvater besucht, alte Briefe und eine große Liebe…
Unversehens findet man sich in einer dramatischen Familiengeschichte wieder, die sich über drei Generationen erstreckt, die von London nach Paris nach New York, Polen und Korsika reicht, die von zwei Weltkriegen erschüttert wird. Kates Leben und das ihrer Mutter wird langsam sichtbar, immer wieder geschickt verknüpft mit der Geschichte von Tom und Alice. Und während Kate auf Spurensuche in die Vergangenheit geht, entwickelt sich fast unbemerkt eine Beziehung zu Oliver, Tom`s Enkelsohn.
Der Roman lebt von diesen vielschichtigen Erzählsträngen. Ein Großteil der Geschichte wird von der Hauptfigur Kate erzählt. Dazwischen kommt Tom zu Wort, dann wieder werden die Geschehnisse aus Alice`s Sicht berichtet. Und allmählich formt sich ein Bild, ergeben die Puzzleteile einen Sinn, findet sich der rote Faden, erklärt sich manches Geheimnis.
Die tiefe Liebe zwischen zwei Menschen, die vom Leben, den gesellschaftlichen Anforderungen, den politischen Gegebenheiten, ihren eigenen Wertvorstellungen immer wieder voneinander getrennt werden, einander aber nie vergessen können, immer wieder aufeinander treffen, einander ihr ganzes Lebens lang verbunden sind, und das Schicksal einer modernen, jungen Frau, die ihr Leben in den Griff kriegen, gestalten möchte – das sind die Ingredienzien dieses großartigen Romans.
In einer schönen, leicht verständlichen Sprache wird hier eine berührende Geschichte erzählt. Werden viele Themen des Menschseins angerissen – die eigene Verantwortlichkeit, Loyalität, der Umgang mit gesellschaftlichen Normen, Entfaltung des eigenen Potenzials, Entscheidungen, die getroffen werden müssen und das Leben vieler beeinflussen, die Frage, wie viel Wahrheit sein darf, sein muss… „Ich glaube, wir tragen alle unsere Vergangenheit mit uns, in dicht an dicht übereinanderliegenden Schichten, wie bei einer Zwiebel“, meint Sophie, eine Freundin von Alice. So gerät auch die Reise in die Vergangenheit manchmal zu einem Entwicklungsprozess zum eigenen Ich.
Beruhigend und tröstlich schließlich der letzte Satz aus dem Postskriptum 2015: „Dann muss ich lächeln“.
Fazit: Ein schönes, leicht lesbares, gefühlsbetontes Buch, in dem man so richtig mitleben/leiden/lieben kann.