Perle der Nordsee: Kleine Insel Amrum 

Veröffentlicht in: Klipp, 2012 (Auszug)

Mit einem Ruck setzt Paul sich in Bewegung. Und wir mit ihm. Paul, das ist die blau-weiß-gestreifte Amrumer Inselbahn, die von April bis Oktober mehrmals täglich ganz  Amrum abfährt. Eine gute Stunde braucht Paul, dann ist er wieder an seinen Ausgangsort zurückgekehrt. Amrum ist eine kleine Insel, knapp 30 Quadratkilometer groß, ein Drittel davon nichts als Sandstrand, soweit das Auge reicht. Der Rest: Wald und Wiesen, Weideland, Heide, Dünen und das Wattenmeer. Dazwischen verteilt fünf putzige kleine Ortschaften, durch die Inselhauptstrasse miteinander verbunden. Ein paar kleine Nebenstrassen und Wege, das war´s. Alles fein säuberlich untergebracht auf gerade mal 12 mal 2,5 Kilometer.

Die Anreise war langwierig, aber kurzweilig. Mit dem Flieger über Berlin nach Sylt, von dort weiter mit dem Schiff Richtung Amrum. Eine gute Stunde Fahrzeit, wir gleiten sanft dahin, dann legt die Adler-Express an der Hafenmole Wittdün an. Es ist Sonntagabend und der Hafen ist leergeräumt. Der Himmel wolkenverhangen, das Wasser aufgewühlt und schmutzig-grün. Kein wirklich aufregender Empfang. Ein stetiger Wind zerrt an den Haaren. Wittdün ist der südlichste Ort auf Amrum, mit einer kilometerlangen Strandpromenade, einigen Geschäften, Cafés und Lokalen – die Sonntagabend jedoch größtenteils geschlossen sind.

Ich suche meine Unterkunft, dank der überschaubaren Entfernungen auf der kleinen Insel ein leichtes Unterfangen, nehme meinen Zimmerschlüssel in Empfang und sinke erstmal ermattet ins Bett. Erkundungen können bis morgen warten.

Am nächsten Morgen schaut die (Insel)Welt tatsächlich schon ganz anders aus: Wittdün hat wieder geöffnet. Aus dem Laden des Inselbäckers lockt der Duft von frischem Gebäck, Menschen schlendern die Gehsteigen entlang, ein Linienbus hält und nimmt eine Ladung Fahrgästen auf, im Gastgarten des Cafe Pustekuchen werden die ersten Torten kredenzt, vor dem Supermarkt sind Steigen mit Obst und Gemüse aufgebaut, der Chef der Inselpraline wischt nochmals Tische und Strandkörbe sauber, schiebt den Ständer mit Gruß- und Ansichtskarten, mit Kaffeehäferln und sonstigem Souvenir auf den Platz vor seinen Laden. Zwischen den Wolken lacht immer wieder die Sonne durch, gegen den Wind bin ich inzwischen gewappnet.

Rund 2200 Einwohner zählt die Insel heute, an die 12000 Gästebetten warten auf ruhebedürftige Urlauber, erfahren wir bei der Inselrundfahrt mit Paul. Dazu kommen noch an die 3000 Tagesgäste, die auf die Schnelle die Insel abklappern wollen. Während die Bevölkerung früher hauptsächlich von der Landwirtschaft lebte, ist es heute eindeutig der Fremdenverkehr – allerdings vornehmlich vom deutschen Festland, aus anderen Ländern verirren sich nur selten Reisende hierher. Ein wahrlich unentdecktes Kleinod.

Amrum liegt 22 Kilometer vom Festland entfernt, es gibt vier Gemeinden, vier freiwillige Feuerwehren, einen Leuchtturm, ein Kino, einen Fußballplatz, eine Mühle und unzählige bestens beschilderte Rad- und Wanderwege. Die kleine nordfriesische Insel ist zu einem großen Teil Naturschutzgebiet, eine Insel der Tiere und Pflanzen. Sie liegt im Wattenmeer, jener einzigartigen, durch Ebbe und Flut sich ständig verändernden Naturlandschaft, die 2009 von der UNESCO zum Weltnaturerbe ernannt wurde.

Zur sommerlichen Brutzeit bevölkern über 6000 Vogelbrutpaare die Inseldünen. Da tummeln sich Möwen und Brandgänse, Eiderenten und Stockenten, Hohltauben, Steinschmätzer, Raben, Schwalben und noch einiges mehr an Vogelvieh. Es herrscht ein Schreien und Kreischen, ein Schnattern und Trillern und Pfeifen – wie eine ständige Symphonie klingt es in den Ohren, ein Naturhörspiel, vor allem am kleinen Süßwassersee, dem Wriakhörnsee, der sich in den Dünen bei Wittdün erstreckt.

Für die nächsten Tage borge ich mir ein Fahrrad aus, die beste Möglichkeit um wirklich alle Plätzchen in Ruhe zu erkunden und auch gut an die kilometerlangen Strände zu gelangen. Von Wittdün führt ein lauschiger Waldweg nach Süddorf und weiter nach Nebel, das mit seinen blumengeschmückten Friesenhäusern eine wahre Augenweide ist. Im Friesencafe servieren Kellnerinnen in landestypischer Tracht Waffeln und Friesentörtchen, Milchreis mit roter Grütze oder üppige Eisbecher.

Viel zu schnell vergeht die Zeit auf der kleinen Insel. So vieles gäbe es noch zu entdecken, so schön wäre es noch weiter in den Dünen zu sitzen und in die Ferne zu schauen, die Gedanken treiben zu lassen. Zeit hat auf Amrum eine andere Bedeutung. Sie geht langsamer, manchmal steht sie auch still. Hast und Hetze sind hier ein Fremdwort. Das ist es auch, was ich mir mitnehme: ein wenig Sand im Haar, die Sonne auf der Haut, das Kichern der Möwen und ein kleines Stückchen Zeitlosigkeit.