Die Essenz der Liebe…

… eine wissenschaftliche Annäherung an ein großes Gefühl…

Kein Mensch kommt drumherum: Die Liebe ist – zumindest als Thema – in unserem Leben allgegenwärtig. Wir verbinden damit eine Unmenge an Vorstellungen, Bildern, Wünschen, Hoffnungen, Erwartungen… In Kunst und Kultur, in Medien und Philosophie, in Religionen und Internetforen ist sie dauerpräsent – und dennoch, unter all diesem Ballast, kaum zu definieren: Was eigentlich ist Liebe?

Das Verwirrende ist ja, dass jeder etwas anderes darunter zu verstehen scheint. Wir reden zwar alle vom gleichen, meinen aber meist ganz anderes. Hier kann die Wissenschaft helfen. Eine Basis zu schaffen, ein klar nachvollziehbare, überprüfbare Definition zu finden.

Was also ist Liebe? Kann man sich der Liebe überhaupt wissenschaftlich nähern, diesem unüberschaubar großen, weit verzweigten Thema, das so massiv in all unsere Lebensbereiche hineinragt?

Man kann! Besser gesagt: Barbara L. Fredrickson kann. Die Wissenschaftlerin hat mit ihrem Team an der University of North Carolina in Chapel Hill unseren Blick auf die Liebe desillusioniert und zugleich revolutioniert. Ihre bahnbrechenden Erkenntnisse sind nachzulesen in “Die Macht der Liebe – ein neuer Blick auf das größte Gefühl“ (Campus Verlag, 2013). Kürzlich war sie zu Gast in Graz und hat die Ergebnisse ihrer Studien bei einem dreitägigen Kongress präsentiert. Hier ein paar Fakten aus ihrer Forschungsarbeit:

Was Liebe nicht ist: Sie ist nicht sexuelles Begehren. Sie ist nicht Verbindlichkeit. Sie ist nicht exklusiv. Sie ist nicht andauernd. Und sie ist nicht bedingungslos!

Stimmt nicht, werden Sie aufschreien, das kann nicht sein, das glaube ich einfach nicht. Nun, es geht in diesem Fall nicht um Glauben, es geht darum, ein fast unauflösbares, oft schmerzhaftes Knäuel zu entwirren. Und es hilft. Lassen Sie uns dem Gedanken also kurz folgen:

Liebe ist ein Gefühl, sagt die Emotionsforscherin, die sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit den guten, mit positiven Gefühlen beschäftigt. No net na na. Gefühle haben es an sich, dass sie kurz aufwallen, eine gewisse Intensität erreichen und dann wieder verebben – sie sind nicht andauernd. Aber sie können wiederkommen, immer und immer wieder. Denken Sie an Freude, Dankbarkeit, an Hoffnung, Vergnügen… sie kommen und sie gehen, diese Zustände. Und sie sind an den Moment gebunden, an das Hier und Jetzt. Hier und jetzt empfinde ich Stolz oder Ehrfurcht. Im nächsten Moment kann das schon anders sein. Und während andere positive Gefühle für sich alleine erlebbar sind, brauchen wir für die Liebe den anderen, das Du: Liebe ist ein Gefühl, das sich zwischen zwei oder mehreren Menschen entfaltet. Es ist ein zutiefst körperliches Gefühl, meint die Wissenschaftlerin, denn es setzt physische Präsenz voraus.

Wir sehen einander an, lächeln, spiegeln einander. Die Neurone in unserem Gehirn gleichen sich einander an. In einem Moment der Liebe stimmt sich die Biochemie zweier Körper aufeinander ein… und wir reden hier nicht von körperlicher Liebe. Sondern von dem magischen Moment, wenn zwei Menschen ihre Herzen öffnen, sich einander zuwenden, einander ansehen, aufeinander eingehen. Schon fangen ihre Körperzellen an, sich anzugleichen. Die Hirnströme verändern sich. Wir verändern uns, in diesem Moment.

Liebe ist nicht bedingungslos. Manche Menschen haben Angst vor Liebe. Sie fühlen sich unsicher, wollen niemanden an sich ranlassen. Sind depressiv, erschöpft oder so durcheinander, dass sie keine positiven Gefühle verspüren können. Sie haben kein Vertrauen. Ein Gefühl von Sicherheit ist jedoch wesentliche Voraussetzung für die Liebe, für diesen „Mikromoment“ der Liebe, wie es Fredrickson bezeichnet. Nur wenn ich mich sicher fühle, kann ich mich dem anderen öffnen. Das zeigt die Wissenschaft. „Die zweite Vorbedingung für die Liebe ist Verbundenheit, und zwar wirkliche sinnliche und diesseitige Verbundenheit mit einem anderen Lebewesen“, sagt Barbara L. Fredrickson. Wir brauchen den Gleichklang, der sich in unseren Gedanken, aber auch in unseren Körpern spiegelt.

Nichts kann mehr Verbundenheit schaffen als ein Lächeln. Dieses Lächeln muss ich wahrnehmen. Ich brauche Blickkontakt, um mit dem anderen in Kontakt treten zu können. Paul Ekman, der weltweit führende Wissenschaftler bei der Erforschung von Gesichtsausdrücken hat festgestellt, dass wir im Schnitt an die fünfzig Lächeln unterscheiden müssen. Zu erkennen, was unser Gegenüber will, wie es auf uns zugeht, war in der Evolution lebensrettend. Freund oder Feind? Das muss ich deuten können. Und wir können das. Unser Instinkt sagt es uns, noch lange bevor unser Bewusstsein in Aktion tritt. Forschungen ergeben, dass man eindeutig im Nachteil ist, wenn man keinen direkten Augenkontakt herstellen und damit nicht zuverlässig den Gesichtsausdruck des anderen deuten kann.

Und schließlich: Liebe erfordert gegenseitiges momentanes Wohlwollen, Fürsorge in dem Sinn, dass es dem anderen gut gehen soll, um seiner selbst willen. Wenn all diese Faktoren zusammen treffen – wir sind mit einem anderen Menschen in Kontakt, teilen ein positives Gefühl, stehen dem anderen wohlwollend, fürsorglich gegenüber, können uns in die Augen blicken, einander anlächeln – das sind die Mikromomente der Liebe. Sie kommen und sie gehen, viele Male am Tag. Und aus vielen dieser Momente kann ein Band geknüpft werden, ein starkes Band, das zu Verbundenheit führt und zu dem Wunsch, mit diesem Menschen, diesem Du, noch mehr dieser Mikromomente zu erleben. Und auf dieser Basis eine Bindung, eine Verbindung einzugehen. Und diese Bindung wiederum kann jene Sicherheit geben, die eine so wichtige Voraussetzung ist, um sich auf Liebe einzulassen.

So die Wissenschaftlerin: „Diese neue Betrachtungsweise sagt uns mit einiger Dringlichkeit, dass Liebe etwas ist, dass wir jeden Morgen neu kultivieren müssen, jeden Nachmittag und jeden Abend… Durch derlei Kleinigkeiten säen wir erneute Liebessamen, die unseren Körpern, unserm Wohlbefinden und unserer Ehe dabei helfen, stärker zu werden.“

Suchen wir sie also die Mikromomente der Liebe, jeden Tag und jeden Augenblick aufs Neue!