Die Zeit, die es braucht

Es kommen immer wieder Menschen zu mir in die Praxis, die vollkommen erschöpft sind. Müde, ausgebrannt, leer, verzweifelt, ohne jede Perspektive. Wenn diese Menschen bereit dazu sind, beginnen wir gemeinsam einen Prozess der Entschleunigung. Zur Ruhe kommen, sich selbst wiederfinden, aus dem (Arbeits-)Hamsterrad aussteigen. Es ist ein langer Prozess, abhängig davon, wie lange schon „Raubbau“ betrieben wurde mit den eigenen Kräften. Oft geht die Erschöpfung bereits mit vielerlei Krankheitssymptomen, körperlichen Schmerzen und Beeinträchtigungen einher. Manchmal sind einfach viele Anforderungen zusammengekommen im Lauf der Zeit und die Menschen haben sich nie eine wirkliche Auszeit, eine Pause gegönnt. Eine Zeit der Regeneration. Das führt dazu, dass irgendwann die Energiereserven aufgebraucht sind. Und oft, sehr oft, ist man dann schon so stark im Hamsterrad eingespannt, dass es normal erscheint, dass gar keine Zeit bleibt um einmal innezuhalten, über die eigene Situation nachzudenken, nachzuspüren… und zu überlegen, was man ändern könnte.

Änderungen brauchen Kraft und Zeit. Die passieren nicht so nebenher. Dazu ist es meist nötig sich einmal auszuklinken. Abstand zu gewinnen. Seine Einstellungen und Werte zu hinterfragen und Bilanz zu ziehen: was passt, was passt nicht oder nicht mehr? Was kann ich ändern? Was muss ich loslassen?

Wovon habe ich zu viel, wovon zu wenig in meinem Leben? Sehr oft geht es dann darum, sich vom Zuviel zu verabschieden, auszumisten, sein Leben zu vereinfachen. Und davor: sich zu erholen, wieder heil zu werden. Ganz banal manchmal als erstes: sich auszuschlafen. Es  kann sein, dass allein der Prozess des Ausschlafens, des wieder zu-Kräften-kommen viele Wochen in Anspruch nimmt. Wer auf sich und seinen Körper vertrauen und sich die Zeit nehmen will, die es braucht um wieder gesund zu werden, der muss meist seine Ungeduld zügeln. Es kann lange dauern. Verständlich eigentlich. Wenn ich jahrelang, über sehr, sehr lange Zeit meine Grenzen missachtet habe, mich pausenlos übernommen, überfordert habe und dazu noch gelernt habe, nicht mehr hinzuhören, die Warnsignale meines Körpers und meiner Seele nicht wahrzunehmen, wie soll Regeneration, Gesundung da in ein paar Tagen funktionieren?!?

Es braucht die Zeit, die nötig ist. Und der Prozess kann nicht beschleunigt werden. Genauso wenig, wie man am Grashalm ziehen kann, damit er schneller wächst  – das einzige, was ich damit nämlich erreiche: ich rupfe ihn ganz aus.

Das empfinde ich gelegentlich als die größte Herausforderung: einem ungeduldigen, verzweifelten Menschen klarzumachen, dass er sich nun Zeit nehmen soll, wieder lernen soll, auf sich selbst zu vertrauen.

Gerne gebe ich hier deshalb die Rückmeldung einer Klientin wieder, die zeigt, dass Regeneration und Gesundung ihre Zeit brauchen – es aber auch wert sind:

„Mir geht es nach wie vor stetig besser! Ich erhole mich immer noch und mir macht das Arbeiten (normale Stundenanzahl) auch wieder Spaß. Jedoch nur jene Bereiche, welche mir liegen. Ich fühle mich beinahe so fit wie vorher, jedoch ich möchte bestimmte Dinge nicht mehr machen und leisten. Die Grenzen sind gesetzt und ich schaue recht gut drauf! Das ist mir wichtig!

Ich habe jedoch alles in allem ein gutes Jahr gebraucht! Vom Start der Therapie kann man sagen 1 Jahr! Ich hatte bis zu einem Jahr das Gefühl, dass mein Körper richtig beleidigt war. Erst seit wenigen Wochen habe ich das Gefühl, dass auch das weg ist. Und müssen tu ich gar nichts mehr!!! Meine Gesundheit geht vor allem!!!

Danke für die tolle Unterstützung damals, als es echt akut war.“

(Fotos: Pixabay)