Wenn alte Zeiten lebendig werden
Und es passiert mir immer wieder: Ich treffe auf Menschen, die mit einem Lächeln im Gesicht auf mich zukommen, mich begrüßen… und mir erzählen, dass wir uns ja kennen! Damals, vor 20 oder 30 oder (upps) 40 Jahren, während der Schulzeit, der Studienjahre, der WG-Zeiten… Weißt du noch? Und da setzt für mich der Moment der großen Peinlichkeit ein: ich erinnere mich nämlich nicht! Kenne den Menschen da vor mir nicht… und selbst hilfreich gemeinte Erzählungen von anno dazumal helfen meinem Gedächtnis meist kaum auf die Sprünge. Ich muss nach Namen fragen, überlege krampfhaft, was der oder diejenige wohl von mir weiß, von damals… wie nahe standen wir uns… wer war ich damals… was für ein Bild haben diese anderen Menschen von mir… aus früheren Zeiten?
Nein, ich bin (soweit ich weiß) nicht dement. Auch nicht so hochgradig vergesslich. An vieles kann ich mich ziemlich gut und genau, fast im Detail erinnern. Aber anderes ist weg, gelöscht aus meinen Erinnerungsräumen. Da tauchen nur dort und da noch ein paar winzige verschwommene Bilder auf. Verdrängt? Vielleicht. Vielleicht spielten damals andere Menschen, Erfahrungen, Gegebenheiten eine so gewichtige Rolle, dass alles übrige in den Hintergrund gerückt wurde. Was weiß ich…
Was ich aber weiß: ich bin heute eine andere. Ganz sicher. Das weiß ich mit Gewissheit. Vielleicht kenne ich diese Person, die ich einmal war, heute ja selbst nicht mehr. Ich habe zum Glück meine Tagebücher, an die 60 vermutlich. Da kann und werde ich beizeiten nachlesen. Vielleicht finden sich da die vielen verschüttgegangenen Details wieder.
Bis dahin entschuldige ich mich aber vorsorglich: bei allen, die sich bislang an mich erinnert haben und so freundlich und wertschätzend auf mich zugegangen sind. Bei allen, an denen ich weiterhin blindlings vorbeilaufen und keine Ahnung mehr haben werde. Ich freue mich tatsächlich aber über jedes Wiedersehen, wieder (neu) kennenlernen… Denn das ist es ja in jedem Fall.


