Buch_Ein Raum zum Schreiben
Es war Liebe auf den ersten Blick: Ich habe dieses Buch gesehen, das Cover, den Titel – und wusste: Das muss gelesen werden.
Unbedingt.
„Ein Raum zum Schreiben“. Von Kristin Valla.
Und nun versinke ich in den Zeilen, mag gar nicht mehr auftauchen. Blättere vor und immer wieder zurück, sauge die Sätze in mich auf. So vieles hallt wider in mir. Berührt mich. Erstaunt, entsetzt, beruhigt, erleichtert, erheitert mich.
Die Autorin Kristin Valla erzählt nach zehnjähriger Schaffenspause, wie sie wieder zurückfindet zur Schriftstellerei. Wieder an einem Buch arbeitet. Besser gesagt: wie sie sich dieses Buch abringt. Wieder ins Schreiben kommen, sich wieder den Raum, die Zeit dafür schaffen, am eigenen Selbstverständnis arbeiten: wer bin ich? Mutter? Ehefrau? Selbständige? Schriftstellerin???
Kirstin Valla, als Redakteurin und Journalistin durchaus schreibend tätig, nimmt in diesem Buch mit auf ihren Weg zu einem neuen Lebensabschnitt. Ein Lebensabschnitt, in dem sie sich (wieder) als Schriftstellerin finden, definieren, behaupten möchte. Sie reist durch Frankreich, auf der Suche nach einem Haus. Ihrem Haus. Dort will sie sich neu entdecken bzw. am früheren Schriftstellerinnenleben andocken. Mann und Kinder bleiben im Haus in Norwegen, in der gemeinsamen Heimat. Die Autorin begibt sich allerdings auf 2 Reisen: Ihre eigene. Und die (inneren wie äußeren) Reisen vieler, vieler anderer Schriftstellerinnen, die um Zeit und Raum für ihr Schreiben gerungen haben. Die sich ihren Platz oft mühsam erkämpfen mussten.
Diese Frauen, Künstlerinnen, bekannt, berühmt für ihre Werke, sie alle mussten sich erst einen Ort finden, um zur Ruhe zu kommen, um den Worten zu lauschen, die aus ihnen herausfließen wollten. Oft geradezu herausdrängten. Zwischen Haushaltsführung, Kindererziehung, Pflichten, Brotjob und – dem Umsorgen des (Ehe)Mannes, Partners. Und: dem Ausbrechen aus veralteten Normen, brutalen Einschränkungen, wie sie Frauen so lange erlebt haben… und teilweise bis heute noch erleben.
Die Autorin findet nach einigem Suchen letztlich ihr Haus, winzig, baufällig, in einem Dorf im Südwesten Frankreichs. Auch wenn der Ehemann den Kaufvertrag mitunterschreiben muss – es ist ihr Haus und sie alleine übernimmt die Verantwortung dafür. Hier will sie den nötigen Rückzug finden um an ihrem Buch zu arbeiten.
Sie zitiert Leila Slimani: „Ich würde mich gern aus der Welt zurückziehen. In meinen Roman eintreten, wie man ins Kloster eintritt“ (aus: Der Duft der Blumen bei Nacht). Juliana von Norwich hat im Mittelalter als Reklusin einen solch freiwilligen Rückzug angetreten: gegen Ende des 14. Jahrhunderts hat sie sich in eine winzige Zelle in der Kirche St. Julian in Norwich einmauern lassen und dort eines der ersten von einer Frau geschriebenen Bücher verfasst. In Ruhe und völliger Abgeschiedenheit.
Viele andere Künstlerinnen nach ihr (und bis heute) haben sich auf diese Suche begeben nach Möglichkeiten, um abseits überbordender Verpflichtungen ihrem Schreiben nachzugehen. Frauen, deren Geschichte im Buch kurz angerissen wird… Agatha Christie, Daphne Du Maurier, Patricia Highsmith, Selma Lagerlöf, Toni Morrison, George Sand, Sigrid Undset, Alice Walker, Edith Wharton u.v.m. – sie alle machten sich auf den Weg, auf die Suche nach Heimat. Einer Heimat als Schriftstellerin.
Ein wesentlicher Aspekt, den Kirstin Valla dabei herausgreift: in all diesen Fällen, die sie beschreibt, zitiert, geht es stets auch und ganz entscheidend um ein Haus. Ein ganz bestimmtes Haus. Der jeweiligen Autorin ins Auge gesprungen, ans Herz gewachsen. Das sie unbedingt haben, bewohnen wollte, um hier in ihr Schreiben eintauchen zu können. Eine fast obsessive Verbindung, viele sprechen dabei ganz klar von Liebe, von Leidenschaft, von Begehren. Haus und Schreiben heißt, untrennbar miteinander verknüpft, Platz, Raum, Zeit nur für sich selbst zu haben. Eine Türe hinter sich verschließen zu können. Ohne Lärm und Ablenkung von der Welt. Ohne Haushaltsverpflichtungen, ohne den Zeitplan anderer im Kopf. Manche treiben endlich lange in den Tag hinein, schreiben zwischen Kuchenkrümeln und endlosen Pyjamatagen, gelegentlich auch viel, zu viel Alkohol (Margeruite Duras). Manche ziehen sich in ihren Turm zurück, aus dem sie nur noch selten auftauchen (Vita Sackville-West), wieder andere entwickeln strikte Schreibzeiten- und Rituale.
Diese Verknüpfung zwischen der eigenen inneren wie äußeren Reise und der Reise anderer Schriftstellerinnen, diese Verknüpfung macht das Buch so spannend, faszinierend, informativ. Und: seit Virginia Woolf mit ihrem „Ein Zimmer für sich allein“ (natürlich ebenso erwähnt) – wie viele Frauen kämpfen noch immer, auch heute noch um ihr Recht, ihre Freiheit, ihren Platz im Leben. Und im Schreiben.
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Kristin Valla: Ein Raum zum Schreiben. mare Verlag, Hamburg 2025.
ISBN: 978-3-386648-737-6