Der Mann meines Lebens
(Veröffentlicht: Klipp, 2013)
Unter uns: Elke tut es und Gabi und Sonja tut es auch. Sabine und Jasmin würden es nie zugeben, aber sie tun es ebenso – sie suchen! Und ich suche ihn auch. Seit ich denken kann. Meinem besten Freund Carlo habe ich bereits im zarten Alter von knapp zehn erklärt, dass ich ihn nun endlich finden wolle, den Mann fürs Leben. In seinen Augen war das offensichtlich ein wenig zu fortschrittlich. Aber frau kann nie früh genug beginnen – immerhin bin ich bis heute nicht fündig geworden. Nicht, dass es nicht genug Männer gäbe. Interessante, gutaussehende, humorvolle Männer. Ich habe auch durchaus den einen oder anderen ausprobiert. Hatte ernsthafte Beziehungen, oberflächliche Affären, nicht haltbare one-night-stands, leidenschaftliche Verliebtheiten. Und allerlei sonstige Torheiten, die sich im Laufe eines Liebeslebens so ansammeln – bloß, der Mann meines Lebens war nicht darunter. Den hab ich noch immer nicht gefunden. Schön langsam frage ich mich schon, wo er sich denn wohl herumtreibt, der eine, einzige. Ich meine, es wird langsam Zeit, dass er sich blicken lässt. Er hatte schließlich genug Möglichkeiten, um sich auszutoben, Erfahrungen zu sammeln und draufzukommen, dass nur eine einzige Frau wirklich zu ihm passt, nämlich ich! Jetzt müsste er mich halt nur noch finden. Und da ist er ein wenig nachlässig, habe ich den Eindruck. Ich meine, ich will mich ja nicht beschweren, aber bis heute hat er sich nicht blicken lassen. Er trödelt. Finde ich. Natürlich, ich will nicht drängeln, ich will uns ja alle Zeit lassen, die wir brauchen, um einander zu finden. Und es ist wichtig ausreichend Erfahrungen gesammelt zu haben, um zu wissen, was Mann alles nicht will, was Mann unbedingt will und was darüber hinaus auch noch ganz nett wäre. Der Mann meines Lebens soll schließlich ganz genau wissen, was er will, nämlich mich. Mit Haut und Haaren. Und er soll nichts unversucht lassen um mich zu finden. Zu erobern. Und schließlich an den Haaren in seine Höhle zu schleifen. Symbolisch gesehen (obwohl – gelegentlich kann so ein bisschen Höhlenschleifen ja ziemlich anregend wirken). Nun ja, allerdings wie gesagt, bisher hat er sich noch nicht blicken lassen. Ob er überhaupt weiß, was er zu tun hat? Ich will ihm ja nicht mangelnde Intelligenz oder Tatkraft vorwerfen – das mögen Männer nämlich gar nicht, sagt mein „So finden sie den Richtigen“-Ratgeber. Vielleicht ahnt er einfach noch nichts von seinem Glück? Und seiner Aufgabe. Nämlich, mich zu finden und glücklich zu machen. Was natürlich auch ihn glücklich machen wird. Ich bin schließlich, vice versa, die Frau seines Lebens. Und da sollte man doch meinen, dass der Mann meines Lebens nichts Wichtigeres im Sinn hätte als mich zu finden. Nun frage ich mich mittlerweile aber doch, ist er so ungeschickt, weil er noch immer nicht aufgetaucht ist. Sucht er ständig an den falschen Orten? Er müsste doch wissen, wo ich zu finden bin. Nämlich dort, wo auch er ist. Immerhin teilen wir viele Interessen. Wir sollten uns also ganz sicher über den Weg laufen. Und dann sollte er mich auf den ersten Blick erkennen…
Ich mache doch auch, was ich kann, um mich – auf ganz natürliche Weise – von ihm finden zu lassen. Blicke den Herren aller Rassen und Klassen tief in die Augen, gehe mit ihnen Kaffee trinken oder lasse mich auf ein Glas Wein einladen und versuche herauszufinden, ob sie der Prinz sind… Ich küsse so manchen Frosch, aber nichts, bisher war er noch nicht darunter. Viel verlorene Liebesmüh, viele geküsste Frösche, kein einziger Prinz. Das betrübt mich. Ich meine, ich werde ja auch nicht jünger. Wenn er mich noch einigermaßen faltenfrei und knusprig erleben will, dann sollte er sich sputen. Sonst kann er mir eher dabei helfen, den Rollator zu schieben oder den Krückstock zu finden. Dann ist nichts mehr mit High-Life und rauschendem Sexleben. Und er wird schließlich auch nicht jünger. Mein Gott – was für eine Verschwendung. Wie viele heiße Nächte sind uns schon entgangen. Tage und Nächte. Anregende Gespräche. Vertraute Zärtlichkeiten. Kuschelige Fernsehabende… Ich darf gar nicht daran denken.
Also, mein Prinz, wo immer du dich gerade herumtreibst, es wird allmählich Zeit! Mach dich bereit. Ich warte an der Bushaltestelle, in der Sushi-Bar oder bei dieser wirklich hippen Vernissage da am kommenden Übermorgen… du erkennst mich an meinem erwartungsvollen Lächeln… So wie Elke, Gabi, Sonja, Sabine und Jasmin auch!

