Essay, Kolumne

Lieber DreckSack,

… wie bist du bloß zu diesem Namen gekommen? Auffallend, auf jeden Fall. Und höchst ungewöhnlich! Gilt der Drecksack hierzulande doch als grobe Beschimpfung… die niemand hören will!!!

Aber: Überhören kann man diesen Namen natürlich auch nicht. Also: neugierig geworden…

Du lagst eines Tages in meinem Postkasten, eine großformatige Zeitschrift (lesbar und für Literatur, so bezeichnet), geschickt von einem Freund aus Deutschland. Ein Gustomacher quasi. 20 Seiten prall voll mit Texten, Bildern, Lyrik. Jahrgang 16, Heft Nummer 3. Verschiedene Künstler*innen, die ich hier kennenlerne. Gleich einmal hüpfen mich an der geniale Text von Irene Habalik („Im Wandel der Zeit“) und „Der Lottoschein“ von Frank Schäfer – kurz und knackig beschreibt er die (Un)Logik der Lottospielenden. Florian Günther setzt still einem Weisen ein Schau-mal… und dann die Gedichte des Michael Eschmann – oh, so aus dem Leben gegriffen, ein Alltag, der zu Poesie erwächst, Bedeutung erlangt, Gedichte, die dem Stillen, Unscheinbaren, dem oft Übersehenen Gestalt verleihen…

Ah, und jetzt versteh ich allmählich… hier geht es nicht um die Reichen, die Schönen, die Erfolgreichen und Flotten. Nicht um die umschwärmten Influencer*innen (bedrückend köstlich abgehandelt von Daniel Kostuj), nicht um die vermeintlich heile Welt mit ihren Luxussorgen… Keine Traumprinzen und Barbarellas. Keine egozentrierten Kunsttexte und glanzvollen Selbstinszenierungen zur Kür der Künstler*innen …

Hier kommen die anderen zu Wort, werden beim Namen genannt, ins Scheinwerferlicht gestellt. Die Armen, die Alten, die Kranken. Die Totgeweihten, die Geopferten, die harten Arbeiter, die Suchtkranken, die Entkräfteten, Geflohenen, die Unerwünschten… die, die am Rande der Gesellschaft stehen – oder eigentlich schon längst aus ihr herausgepurzelt sind. Die, die man nicht so gerne einlädt … zur Geburtstagsparty, der Beförderungsfeier, der glanzvollen Geschäftseröffnung.

Die, die keine Politikerin und kein Politiker gerne erwähnt, und wenn dann nur in Form von: Sozialschmarotzer, Taugenichtse, Kriminelle, Abzuschiebende, Nestbeschmutzer, Faule, Häftlinge, Unwillige, keine-Leistung-Erbringer – pfui halt. Die, die man nicht mag. Wo man gerne ganz schnell wegschaut. Und weggeht. Die Straßenseite wechselt.

Und jetzt, da im „DreckSack“, da kriegen sie ihre Bühne, da werden sie vor den Vorhang geholt, werden womöglich namentlich genannt, ihr Leben bekommt – winzige – Bedeutung. Wird gedruckt. Der Obdachlose, zu Tode getreten, hier kriegt er posthum ein Quäntchen an Aufmerksamkeit, Hinwendung. Hier wird erzählt von ihm, ihm und den anderen Namenlosen, Unbekannten, „Unwerten“… Keine und keiner, die üblicherweise groß in der Zeitung stehen, einen Pokal erhalten, denen man die Tür aufmacht und die Einladungen nachwirft. Niemand mit der oder dem man sich brüsten kann, denen gar die Welt offensteht. In Texten und Bildern. Im Leben.

Der Fensterputzer. Der Mann, der sich um Tiere kümmert… während sich niemand um ihn kümmert. Die Suchtkranke. Und Gott, Diego Rivera, der betrunkene Bernhard. Sie alle kriegen hier ein Plätzchen, dürfen verschnaufen, kurz Rast machen…

… während wir in unserem Alltag weiterhetzen, die nächsten to-do-Listen durchgehen.

Danke dir, lieber DreckSack, für diese Momente des Innehaltens, des Nachspürens, des Aufseufzen-könnens. Der Erkenntnis. Wichtig bist du, wichtig allemal.

Bleib wie du bist.

Und schenk uns noch weiterhin Einblicke. Texte und Bilder. Die berühren. Sprachlos machen.

Mit besten Grüßen aus Graz!

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(Mehr zur Literaturzeitschrift Drecksack: DreckSack-Lesbare Zeitschrift für Literatur – Edition Luekk Noesens)