Ukraine – Stimmen gegen den Krieg
Freitag, 4. März 2022
7 Uhr. Morgens im Bett. Aufwachen. Die Sonne blinzelt durch die Vorhänge. Erste Gedanken sammeln sich… ein bedrückendes Gefühl macht sich breit. Da war doch was? Ja, Krieg. Es herrscht Krieg in Europa! Vor einer Woche hat Russlands machthungriger Diktator das Nachbarland Ukraine angegriffen. Seine Truppen, Panzer, Raketen und was weiß ich für Waffen losgeschickt bzw. aktiviert, um Menschen, Tiere, Gebäude, Infrastruktur, Natur zu zerstören. Dem Erdboden gleichzumachen. Alles, was bislang den Alltag der Menschen dort ausgemacht hat – von einem Tag auf den anderen weg. Verloren. Unwichtig. Ein Kampf ums Überleben hat eingesetzt. Ich liege im Bett und versuche mir vorzustellen, was das bedeutet. Es fällt mir so unsagbar schwer, das zu glauben. In dieser Welt? Jetzt? Auf dieser Erde? Krieg? Gibt es tatsächlich Menschen, die so etwas tun? Krieg führen? Andere überfallen, vernichten, töten???
Ich bin geboren, aufgewachsen in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Ich habe von vielen Kriegen in der Geschichte der Menschheit gehört. Habe das in der Schule gelernt, lernen müssen. Wer hat wann und warum welchen Krieg gegen wen geführt – das gehört zum Allgemeinwissen im Geschichtsunterricht. Und hat mich, ehrlich gesagt, nie interessiert. Immer nur entsetzt. Ich war immer nur froh, dass es vorbei war. War fassungslos, dass so etwas möglich war, jemals. Dachte, dass wir jetzt in einer anderen Zeit leben. Dass wir als Menschheit gewachsen sind. Uns entwickelt haben. Gelernt haben. Uns zivilisiert haben. Keine Kriege mehr brauchen. Habe ich gedacht. Inständig gehofft. Ich habe natürlich gehört, gelesen, gewusst, dass weit weg, auf anderen Kontinenten noch Kriege geführt werden. Aber ich habe immer gehofft, angenommen, dass auch das bald vorbei sein wird. Dass es nur noch eine Frage der Zeit ist…
Wir könnten ein Paradies auf Erden haben. Pflanzen, Tiere, Luft, Wasser, ein komplexes Natur- und Umweltsystem, dass alles bietet, bereithält, um gut und sicher und friedlich hier auf dieser Welt zu leben. Wir könnten dieses Paradies nutzen, genießen, ausbauen. Wertschätzen. Wir könnten friedlich neben- und miteinander leben. Stattdessen? Wir schaffen uns unsere eigene Hölle. Vernichten alles, zerstören alles, was uns Lebensgrundlage ist. Wir vernichten und zerstören einander. Warum?
Wenn wir unsere Kräfte, Talente, Fähigkeiten bündelten, gemeinsame Sache machten – was könnten wir erreichen, schaffen? In Frieden leben, koexistieren… ist das so unmöglich?
Samstag, 5. März 2022
Der Krieg dauert an, kein Ende absehbar. Im Gegenteil. Die Medien überschlagen sich mit den Gräueltaten der Kriegsmaschinerie. Es fällt mir schwer, die Gedanken daran abzustellen. Und achtzugeben, dass meine Phantasie nicht mit mir durchgeht. In meinem Kopf drängeln sich die Bilder…. Dabei habe ich selbst nie Krieg erlebt. Und doch ist er permanent nahe. Meine Großeltern, die noch beide Weltkriege durchgemacht haben. Die im Krieg gelebt, überlebt haben. Meine Eltern, die in den letzten Kriegsjahren geboren wurden und mit den Auswirkungen und Folgen leben mussten. Die alles wiederaufgebaut haben, was andere zerstört und vernichtet haben. Die Kriege, die weit weg, auf anderen Kontinenten geführt wurden. Und werden. Krieg im Ostblock. Krieg in Jugoslawien. Das war schon ziemlich nahe. Und bedrohlich. Und jetzt: Putin gegen die Ukraine. Ein durchgeknallter Diktator gegen den Rest der Welt. Ein Tyrann, der nicht mehr zurechnungsfähig scheint. Dem alles zuzutrauen ist. An den Hebeln der Macht. Wie ist so etwas möglich? Dass wir Menschen solche Monster an die Macht lassen? Immer wieder!?!
Humanitäre Korridore sollten geschaffen werden. Für ein paar Stunden. Um Menschen die Flucht aus ihrer Heimat zu ermöglichen. Um Menschenleben zu retten. Frauen, Alte, Verletzte, Kranke, Behinderte, Schwache. Um nicht noch mehr Tote, Verletzte zu produzieren. Es war nicht möglich. Die Korridore wurden wieder geschlossen. Brutalität, Aggression und Kampfeslust waren stärker als alles andere. Die Bilder verfolgen mich.
Ich schalte das Radio aus, lege die Zeitungen beiseite, schalte das Handy ab. Versuche, meinen Kopf zur Ruhe zu bringen. Mein Leben hier weiterleben. In mir und bei mir und rund um mich Frieden zu finden. Frieden schaffen. In der Hoffnung, dass wir damit Wellen erzeugen könne. Wellen des Friedens. Die überschwappen in andere Welten. Und Köpfe.
Sonntag, 6. März 2022
Ein kalter, grauer Morgen. Leichtes Schneegeriesel. Und noch immer Krieg. Gestern habe ich einen Text von Ilija Trojanow auf meinem facebook-Profil geteilt. Und alle Antikriegspostings, die mir untergekommen sind, gelikt. Alle Hilfsinitiativen. Was soll ich sonst tun? Ich fühle mich hilflos, ohnmächtig – angesichts dieses Weltenzustandes.
„Der irre Gasputin scratcht mit den Kremlins derart ungehobelt über das Parkett, dass es einem allen Humor verschlägt, sämtliche Zehennägel aufrollt“ – befundet der Schriftsteller Franzobel in seiner Kolumne heute in der Kleinen Zeitung. Ja, gut und lustig formuliert. Wenn es nicht so zum weinen wäre.
Ich treffe mich zum Frühstück mit einer Freundin im Café. Sie schüttelt wissend den Kopf. Wie es in Moskau zugeht, ein Freund von dort hätte ihr berichtet… es sei ein Krieg, den die USA angezettelt haben… wenn wir wüssten… es ist alles nur Schein. Ich hacke nach: Der Angriff Russlands auf die Ukraine, die Zerstörung, Bomben, Panzer, die alles niederwalzen, die mittlerweile über 1 Million Menschen, die flüchten….? Mir wird kurz schlecht, das ist kein Thema, über das wir uns heute unterhalten sollten. Unsere Meinungen gehen diametral auseinander. Das Entsetzen beutelt mich. Wie kann man Menschen so in die Irre führen? Und beide glauben wir voneinander die Getäuschten zu sein. Beide sind wir sicher mit unserer Meinung.
Wir bleiben bei harmlosen Themen. Unserer Arbeit, dem Wetter, den hiesigen Gegebenheiten. Das Frühstück ist köstlich. Ich bestelle noch einen Schoko-Zucchini-Kuchen, einen Verlängerten. Das Café ist voll. Ein normaler Tag im März.
„Mich graust in diesen Tagen, wozu der Mensch fähig ist, und mich rührt in diesen Tagen, wozu der Mensch fähig ist“, schreibt Valerie Fritsch in der heutigen Zeitung – unter der Rubrik: „Krieg in Europa“.
Montag, 7.3.2022
Aufwachen – die ersten Stimmen im Radio berichten vom Kriegsgeschehen in der Ukraine. Überall in Europa laufen die Hilfs- und Spendenaktionen. Flüchtende Menschen werden irgendwo unterwegs abgeholt, notdürftig versorgt, untergebracht. Es wird um Matratzen, Kleidung, Schlafsäcke, Decken, Medikamente u.v.m. gebeten. Daneben: das Leid der Tiere. Das ich mir gar nicht vorstellen möchte. Auch Tierschutzorganisationen arbeiten am Limit. Bringen Futter in die Nachbarländer, zur Grenze, so weit sie kommen. Sie versorgen die Tiere, wo es geht. Ich bringe Futter zum nahegelegenen Tierheim, das seine eigenen Lager geleert hat, um die Futterreserven schnellstmöglich dorthin zu liefern, wo es am dringendsten gebraucht wird. Allerorts eine Meisterleistung an spontaner Organisation, Koordination, Logistik, Zusammenarbeit. Menschen packen an, wo sie können. Das ist das Gute. Das ist das, was mir Hoffnung gibt. Es gibt auf dieser Erde viel mehr Menschen, die keinen Krieg wollen. Die lieber helfen als zu zerstören. Die protestieren, sich engagieren. Gegen den Hass, gegen blinde Wut und Barbarei. Heute ein Video aus der Ukraine, von einem Tanzpaar weitergeleitet – zerstörte Stadtteile, brennende Häuser, alles in Schutt und Asche – die Vernichtung von allem Leben auf diesem Fleckchen Erde. Wie kann man so etwas tun? Ich werde die Fassungslosigkeit, das Nichtverstehen von so viel Grausamkeit, unnötigem Leid nie ablegen. Anstatt unsere Kräfte dafür einzusetzen, dass wir alle ein schönes Leben auf diesem Planten leben können, machen wir alles kaputt. Warum nur, warum???
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Veröffentlicht: „Stimmen gegen den Krieg“ (IG AutorInnen/Literaturhaus Wien)
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