Die Haarfarbe der Frauen oder: Was ist der Welt zumutbar?
Ich lese gerade das Buch Glückssträhnen von Sophie Fontanel. Es ist mir kürzlich aus einem der offenen Bücherregale in die Hände gerutscht. Und ich staune erneut und immer noch: hier beschreibt eine Frau, bekannt aus der internationalen Modewelt, als Journalistin und Autorin, wie sie ihre Entscheidung und den Schritt erlebt, ihre Haare im Alter von 53 nicht mehr zu färben. Mir war nicht klar, dass dieses Thema so groß ist, dass es ein Buch zu füllen vermag. Aber tatsächlich: es ist so. Und ich erinnere mich: auch als ich vor einigen Jahren beschlossen hatte meine Haare nicht mehr zu färben, gab es einiges Aufsehen in meinem Umfeld. Eine Zeitlang war es beliebtes und häufiges Thema für Freundinnen, Bekannte und Verwandte, die ich getroffen habe. Weniger eigentlich für mich. Für mich war die Entscheidung ja klar und – erleichternd. Was es mit meinem Umfeld anrichtete, wurde mir erst danach bewusst.
Und es entsetzt mich bis heute: wie sehr wir Frauen uns einem Modediktat von Männern, Werbung, Wirtschaft, Modeindustrie beugen, was wir unserer Gesundheit antun, wieviel Zeit und Geld wir in das Haarefärben investieren… wie sehr wir uns verbiegen, wie sehr wir dem Urteil anderer ausgesetzt sind. Ich dachte anfangs ja, was ich mit meinen Haaren mache sei allein meine Sache. Naja… das Buch von Sophie Fontanel zeigt mir, dass die Mode- und Männerwelt gar nicht amused ist, wenn Frauen selbst über ihre Haarfarbe entscheiden. Und sich dem Schönheitsdiktat von ewiger Jugend und Alterslosigkeit nicht mehr bedingungslos unterwerfen. Sophie Fontanel berichtet von wahnwitzigen Gesprächen, die andere zu ihrer Entscheidung bezüglich Haarfarbe angezettelt haben. Ob eine Frau über 50 die Haare färbt oder in Würde ergraut, sich weiße Locken gönnt, womöglich zweifärbig herumläuft, ist offenbar Weltthema. Und ein großes Problem. Für die Wirtschaft mit ihren 300000 verschiedenen Haarfärbemitteln- und Methoden, die an die Frau gebracht werden wollen. Für die Werbung sowieso. Für die Frauen- und Lifestylezeitschriften. Für manche Männer, denen die Kontrolle über die Frauen entgleitet. Und generell für jene, die alles daransetzen, so jung und den gängigen Schönheitsidealen entsprechend auszusehen wie nur irgend möglich.
Wer hat denn eigentlich das seltsame Urteil in die Welt gesetzt, dass graue, weiße, silber Haare pfui sind? Alle 2-3 Wochen Haare färben, brutalste Chemie auf den Kopf. Gestank. Brennen. Ordentlich Geld ausgeben. Dauertermine bei Friseur/in. Leiden, sobald sich der nächste Ansatz zeigt. Sophie Fontanel berichtet abenteuerliches, das sie in dieser Zeit erlebt hat, als sie „als Zebra“, also zweifärbig durch die Welt gelaufen ist. Und damit die gängigen Vorschriften für Frauen ab 50 auf den Kopf gestellt hat. Immer mit Fragen verbunden, wie: darf ich ich selbst sein? Darf ich mich so zeigen, wie ich bin? Bin ich der Welt zumutbar, wenn ich mich nicht mehr dem Schönheitsdiktat beuge und meine Haare nicht mehr färbe? Im Netz wimmelt es noch immer von Frauen, die damit kämpfen, sich das Haarefärben abzugewöhnen. Die panische Angst davor haben, mit grauen Haaren nicht mehr geliebt, begehrt, gesehen zu werden.
Sophie Fontanel beschreibt in ihrem Buch interessanterweise aber auch viele Gespräche, die sie mit Männern geführt hat. Männer, die auf Silbermähnen abfahren, Männer, die sich wünschten ihre Frauen würden aufhören mit dem Haarefärben, die sich nach Natürlichkeit, Echtheit sehnen. Und: viele Frauen sagen und erleben, dass sie mit ihren ungefärbten, scheckigen, bunten, grauen, silber oder weißen Haaren plötzlich viel besser, zufriedener, gesünder aussehen. Dass sie sich wohler fühlen, mehr bei sich angekommen, in sich ruhend – und das wird im außen sichtbar. Das Auftreten von selbstbewussten Frauen, die sich nicht mehr verbiegen lassen. Die sich so zeigen, wie sie sind. Die zu ihrer ureigenen Haarfarbe stehen.
Kann ich inzwischen nur bestätigen. Auch für mich ist das heute kein Thema mehr. Ich mag meine Haare so wie sie sind. Ziemlich scheckig, irgendwas zwischen weiß und grau und undefinierbar. Wie meine Katze – mehrfarbig eben. Und durchaus zufrieden.
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SophieFontanel (@sophiefontanel) • Instagram-Fotos und -Videos
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