Konflikte zum Einkochen – Streiten will gelernt sein
Gabi S. (34) wälzt sich schlaflos im Bett. Immer wieder geht ihr dieser Tag durch den Kopf. Sie arbeitet seit einiger Zeit im Büro einer großen Firma und sie mag ihre Arbeit durchaus. Eigentlich. Doch eine Kollegin macht ihr schwer zu schaffen. Die 52-Jährige Susi ist ihr halbes Leben in der Firma und sie schafft gerne an. Sie kritisiert außerdem viel und schaut Gabi ständig auf die Finger und findet immer etwas, das nicht passt. Sie ist der lautstarke Typ, der viel redet und schimpft. Auch heute hat sie sich wieder über Gabi aufgeregt, hat ihr einiges an Zusatzarbeit zugeschoben und dann herumgemäkelt, dass Gabi nicht rechtzeitig fertiggeworden ist.
Gabi wird dann ganz klein und ruhig, sagt nichts, schluckt ihren Ärger über die ungerechtfertigte Kritik runter und ist den Tränen nahe. Manchmal bekommt sie an besonders schlimmen Tagen heftige Kopfschmerzen. Und meist liegt sie dann nächtelang wach und grübelt, was sie hätte anders tun sollen und wie sie mit ihrer Kollegin Susi klarkommen könnte.
Streitereien und Konflikte gehören zu unserem Alltag. Wir alle haben sie und kaum einer gibt es gerne zu. Konflikte tauchen überall auf, wo Menschen miteinander zu tun haben – ob in Liebesbeziehungen, Freundschaften, Familien, im Arbeitsumfeld, in der Schule, unter Nachbarn, zwischen verschiedenen Gruppierungen, Staaten, Völkern.
Am Anfang steht oft ein Missverständnis
„Der gemeinsame Nenner bei vielen Konflikten ist, dass sie häufig aus Missverständnissen heraus entstehen, über die nicht geredet wird und die dann schnell groß werden können“, so die Psychologin und Mediatorin Susanne Lederer. Es treffen ja immer unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinander, mit unterschiedlichen Sichtweisen, Wünschen, Vorstellungen, Bedürfnissen. Und je größer die Unterschiede, desto größer auch das Konfliktpotenzial.“
Susanne Lederer arbeitet seit 20 Jahren schon in freier Praxis in Graz und hat sich ganz dem Thema Konflikte verschrieben. Immer wieder wurde sie im Lauf der Jahre nach konkreten, einfach umsetzbaren „Rezepten“ gefragt, wie man mit Konflikten denn umgehen könne. Was tun, um Konflikte zu verhindern? Was tun, wenn es eskaliert? Wenn die Fronten schon verhärtet sind? Wenn die Lage aussichtslos scheint?
„Es gibt kein Kochrezept“, war lange Zeit ihre Antwort. Doch sie war selber nicht zufrieden damit, hat einen hohen Bedarf geortet, nach brauchbarer, praxisbezogener Literatur gesucht – aber da gab es nichts. Nichts außer schwere theoretische Fachliteratur, nichts, das für den Laien verständlich und anwendbar gewesen wäre.
Im Austausch mit einer Kollegin, der Journalistin und Mediatorin Kathrin Erhardt-Neger, hat sie dann beschlossen: Ein Buch muss her! Kein Ratgeber mit erhobenem Zeigefinger, sondern ein gut umsetzbares „Rezeptbuch“ für Konfliktsituationen. Und weil beide Autorinnen auch leidenschaftliche Köchinnen sind, haben sie die Themen vermengt und ein Kochbuch daraus gemacht: „Konflikte einkochen. Rezepte zur Streitbeilegung“, nennt sich das Werk, das 25 erprobte Methoden vorstellt, wie man Konflikte bestmöglich lösen kann.
Sich Unterstützung holen
Aber zurück zu Gabi. Wie hat sie ihren Konflikt mit der Kollegin in den Griff bekommen? Sie hat sich Unterstützung von außen gesucht. Eine Kollegin aus einer anderen Abteilung, mit der Gabi gut auskommt, hat sie darauf aufmerksam gemacht: Geh in Supervision, nimm ein Coaching in Anspruch, das wird von der Firma bezahlt. Gabi hat sich zunächst in Eigenregie an eine Psychologin gewandt. Dort hat sie sich ihr eigenes Konfliktmuster angeschaut. Rückzug, Schweigen, nicht Stellung beziehen. Das kennt sie von klein auf, so hat sie sich meist verhalten, wenn es zu Streitsituationen gekommen ist.
Dass unbearbeitete Konflikte massive Auswirkungen auf Körper und Seele haben können, merkt sie mittlerweile.
Andauernde, ungelöste Konflikte schränken die Lebensqualität drastisch ein. Sie sind allgegenwärtig, man denkt ständig dran, schläft schlecht, der Körper ist verspannt, man bekommt Kopfscherzen, Bauchschmerzen, Rückenschmerzen. Es kommt zu Stimmungseintrübungen, der schwarze Mantel der Depression legt sich allmählich über den Alltag. Die Sicht verändert sich, die eigene Wahrnehmung und Einstellung ändern sich, negativen Gefühle werden stärker, belasten zusehends.
All das erfährt Gabi bei der Psychologin. Und dass es wichtig ist, etwas dagegen zu unternehmen. Gemeinsam erarbeiten sie einzelne Schritte, wie Gabi lernen kann sich besser durchzusetzen. Wie sie sich wehren, ihren Standpunkt behaupten kann. Wie reagieren, wenn die Kollegin wieder schimpft und kritisiert. Gabi überlegt, ob sie die Kollegin zu einer gemeinsamen Supervision einladen soll, entscheidet sich dann aber dafür, erst einmal unter vier Augen das Gespräch mit ihr zu suchen. Gabi weiß mittlerweile, dass viele den Impuls haben, einem Gespräch aus dem Weg zu gehen. Nun sucht sie aktiv die Begegnung. Sie hat gelernt, dass es besser ist, konstruktiv, mit Neugierde, mit Fragen in das Gespräch zu gehen, von sich zu erzählen, das eigene Erleben zu schildern und nicht mit Vorwürfen, Kritik und Beschuldigungen um sich zu werfen.
Das Gespräch suchen
In einer ruhigen Minute treffen die beiden in der Teeküche aufeinander. Gabi nimmt allen Mut zusammen und beginnt das Gespräch, erzählt von ihren Gefühlen und Gedanken, wie sie die Kollegin erlebt und wie schwer es ihr fällt damit umzugehen. Gabi weiß, dass sie die Kollegin nicht ändern kann, aber sie kann von sich erzählen und ihre Sichtweise schildern. Sie kann Wünsche äußern, klare Forderungen stellen und eine grundsätzliche „Lösungshaltung“ anbieten.
Diese ist, wie sie inzwischen gelernt hat, abhängig von der Blickrichtung – schaue ich in die Zukunft, wie könnte es besser sein, was können wir tun um besser miteinander auszukommen oder bleibe ich in der Vergangenheit hängen, im Kreislauf endloser Vorwürfe und Beschuldigungen.
Gabi hat es geschafft, den Konflikt mit der Kollegin zu klären. Mehr noch, sie hat einiges erfahren von Susi, deren Leben und Eigenheiten. Dass Susi jemand ist, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt, schnell einmal redet, Dampf ablässt und dann eigentlich wieder ganz friedlich wird. Dass Susi sie durchaus schätzt, aber manchmal übersieht, wenn sie die Grenze überschreitet – und weil Gabi nichts sagt, bisher angenommen hat, dass alles ok sei – all das hat Gabi nach und nach erfahren. Beide können einander nun mit weit mehr Verständnis und Respekt begegnen. Und Gabi kann endlich wieder gut schlafen.
Noch ein paar Tipps aus der Psychologenpraxis von Susanne Lederer:
Oft stellt sich als erstes die Erkenntnis ein: Es stimmt was nicht… der eine neigt zu Flucht, der andere zum drauflosstreiten.
Hilfreich ist es, nicht nur impulsiv zu reagieren, sondern in die Selbstreflexion zu gehen, von einer Metaebene auf die Situation zu schauen.
Es kann helfen sich eine Außensicht zu verschaffen, mit anderen, neutralen Personen zu reden.
Sich Verbündete zu suchen tut zwar kurzfristig gut zum Dampf ablassen und trösten – hilfreich in Bezug auf eine Lösung ist das aber weniger.
Oft herrschen Angstphantasien vor – solange kein Gespräch gesucht wird, gibt es keine Chance das Bild zu verändern
Vorher überlegen: Was sage ich wann und wie und wo? Und sich klarmachen: Ich kann ein Gespräch auch abbrechen. Ich darf Stopp sagen.
Wer mehr wissen will, kann nachlesen im Buch:
„Konflikte einkochen. Rezepte zur Streitbeilegung“ von Susanne Lederer und Kathrin Erhardt-Neger. 2017, Beck Verlag, München. ISBN: 978-3-406-70185-6.
