Selbst das Glück
Selbst das Glück ist nicht unbegrenzt haltbar, dachte Jana, während sie ihren Löffel in den Milchreis tunkte. Sie schüttete eine ordentliche Portion von der Zimt-Zucker-Mischung nach und löffelte schweigend weiter. Es war schön wie immer, wenn sie mit Paul auf Reisen war. Sie verstanden sich ohne viele Worte, hatten die gleichen Interessen, meist ähnliche, übereinstimmende Bedürfnisse. Sie konnten sich durch die Tage treiben lassen, Orte und Städte erkunden, lange Wanderungen machen, es gab genug, über das sie miteinander reden konnten.
Und diese winzige kleine Insel in der Nordsee jetzt – Paul hatte dieses Reiseziel vor Monaten bereits ausgekundschaftet und ihr vorgeschlagen. Ohne zu zögern hatte sie zugestimmt – eine weitere Perle auf ihrer beständig wachsenden Reisekette.
Ein Traum, zauberhaft, unvorstellbar, Wahnsinn… all das war Jana in den Sinn gekommen, als sie zum ersten Mal über den weichen warmen Sandstrand tappten, vor sich nur den Himmel und die See. Nur zwei Farben, das Blau des Himmels und der See, das hellgelbe Ocker des Sandes. Weite, unendliche Weite. Da geht dir die Seele auf, hatte Paul nur gemeint, der ebenso fasziniert stehengeblieben war und nur vor sich hin starrte. Sie schob ihre Zehen in den warmen Sand, der sich wohlig und weich anfühlte. Paul nahm ihre Hand und rannte los. „Auf zum Wasser, komm!“ Jana lief mit, lachend, es war nicht leicht durch diesen federleichten Sand zu laufen, die Füße schienen irgendwie immer ein wenig steckenzubleiben, als würden sie durch unberührte dicke Schneemassen laufen. Paul strahlte übers ganze Gesicht, er gluckste vor sich hin und Jana fühlte ihr Glück in sich aufsteigen wie eine warme Wasserfontäne, die frische Wasserperlen in die Luft warf.
Sie warf sich auf Paul, der ging lachend zu Boden, Jana wälzte sich auf, über ihn, kichernd, Paul schloss die Augen, packte ihren Hinterkopf und drückte ihr eine festen Kuss auf den Mund. „Bist du glücklich, mein Schatz, bist du auch so glücklich wie ich?“ Jana nickte, lachend, blinzelnd, ihre Finger tief in den Sand grabend.
Sie hatten den Vormittag am Strand verbracht, im Sand liegend, mit Blick auf die See, schweigend, dösend, ein langer Spaziergang dann, immer an der Wassergrenze entlang, die Wellen umspülten ihre Füße, sie gingen Hand in Hand. Am frühen Nachmittag hatten sie sich an einen Tisch beim Strandhäuschen gesetzt, ein kleines Selbstbedienungslokal, dort wo der Sandstrand übergangslos in ein kleines, schattiges kühles Wäldchen überging. Sie tranken Bier, Jana aß eine riesige Schüssel Strandhäuschensalat mit Krabben, Paul bestellte sich Scholle mit Salzkartoffel. Sie lächelten noch immer, plauderten leise vor sich hin, dann brachen sie auf. Mit den Fahrrädern, die man allerorts auf der Insel leihen konnte, strampelten sie weiter, ein langes Stück durch den Wald, über breite Schotterwege bis zum nächsten Ort. Sie fuhren kreuz und quer durch die Straßen, die sauber blitzten und fast leer in der Sonne dösten. Im Ortszentrum dann ein paar Geschäfte, zwei, drei Cafés. In eines davon waren sie eingekehrt, ein hübsches Gärtchen, kleine weiße Tische im Gras, Holzstühle mit blauen Pölstern, hie und da ein Strandkorb, ebenfalls weiß-blau gestreift.
Sie hatten den letzten Tisch hinten in dem Gärtchen genommen. Jana saß im Strandkorb, Paul am Stuhl ihr gegenüber, die nackten Füße im grünen Gras. Die Hitze hatte sich träge über den Tag gelegt, die Zeit schien zu zerrinnen, stehenzubleiben, alles wirkte irgendwie verlangsamt. Die Worte der Kellnerin vorhin, es dauerte, bis Jana in ihrem Strandkorb die richtige Position gefunden hatte, wie in einem Film, dachte Jana, ein Stummfilm, alles nur Kulisse, im Zeitlupentempo und mittendrin sie und Paul als Statisten. „Alles in Ordnung, Schatz?“ hörte sie Paul jetzt fragen. Jana merkte, dass er sie beobachtete, wie sie stumm ihren Milchreis in sich hineingeschaufelt hatte, gedankenverloren. Jana blickte auf, sah ihm in die Augen mit den gelben Pünktchen, in die sie sich vor vielen Jahren verliebt hatte, sie zögerte kurz, dann lächelte sie und meinte: „Ich liebe dich einfach, sonst nichts.“
