Essay & so

Vom Wert der Dinge

(Veröffentlicht: Austria Forum/Kunst und Kultur & facebook-kunstost, 2025)

 

Ich habe im Vorjahr das Haus meiner Eltern ausgeräumt. Stück für Stück für Stück. Kleidung, Geschirr, Deko, Decken, Bücher, Gartensachen, Nähzeug, Sportartikel, Blumentöpfe… nichts, das nicht durch meine Hände ging. Hunderte, ja tausende von Dingen, die ich geprüft habe und überlegt, wo sie künftig wohl am besten aufgehoben sein mögen. Unzähliges wurde verschenkt, gespendet, habe ich tagaus tagein wegtransportiert – zu offenen Bücherregalen, den Carla-Shops, Verschenkregalen, ins Tierheim, zu karitativen Flohmärkten…

Es war ein langer, mühsamer, oft quälender Prozess. Auch ein inneres Aufräumen. Ein emotionales Abschiednehmen. Ein seelisches Loslassen. Gehenlassen. Jetzt bin ich durch. Und ich weiß, dass fast alle Dinge ihren Platz gefunden haben. Fast alles kann und wird wiederverwertet werden. Andere Menschen werden es nutzen, sich daran erfreuen. Kaum etwas ist im Müll gelandet.

 

Die Erinnerungen leben in meinem Herzen weiter. Nicht in den Dingen.

 

Warum ich mir diese Arbeit angetan habe? „Stell doch einen Container vors Haus!“- „Lass eine Firma ran, die räumen alles aus“ – und das meiste wird entsorgt.

Nein.

Ich bin Minimalistin. Wohl wissend, dass dieser Begriff vieles meint, gelegentlich missbraucht und gerne auch streng kritisiert wird. Oder in harte Regeln gepackt („nur wer nicht mehr als 100 Dinge besitzt…“).

Ich bin Minimalistin. Weil Dinge für mich einen Wert haben. Weil mir das gefällt. Ich lege Wert auf Ressourcenschonung. Auf den bewussten und achtsamen Gebrauch von Dingen. Ich will daheim keine Müllhalde von unnützem Zeug. Sachen, die gekauft werden müssen. Weil das doch alle kaufen. Weil es gerade in ist. Weil wir es doch ganz dringend brauchen. Weil es ohne ja nun gar nicht geht. Weil mehr besser ist als wenig. Weil doch der Markenname draufsteht. Weil ….

Zu viele Dinge in meinem Umfeld erdrücken mich. Reizüberflutung nennt man das. Wenn das Chaos im Kopf nur noch vom Chaos im Wohnumfeld übertroffen wird. Mehr, lauter, größer, schneller, teurer… und überhaupt. Nicht meins. Ich glaube nicht an endloses Wirtschaftswachstum. Wo will die Wirtschaft denn hinwachsen? In den Himmel? Wirtschaft als Lebensaufgabe? Als Sinnmacher? Als Dummmacherdroge?

Ich habe genug. Genug vom Zuviel. Und genug von Allem. Und das Spannende: ich entdecke zunehmend, was ich alles – noch – nicht brauche. Manchmal fast mit Entsetzen. Was habe ich mir alles einreden lassen? Was glaubte ich, alles haben zu müssen! Was, so habe ich mir suggerieren lassen, ist unbedingt nötig, ja lebensnotwendig!

Wer einmal angefangen hat, sich mit derartigen Überlegungen auseinanderzusetzen, zu prüfen, welche Dinge im Leben tatsächlich notwendig, hilfreich sind, den Alltag erleichtern … der/die findet bald einmal heraus, wie viel unnötiges Zeug wir in unserem Umfeld herumliegen haben. Und das Schreckliche daran: wir müssen dieses Zeug dann putzen, warten, ersetzen, Schränke und Schubladen dafür kaufen/bauen, mit übersiedeln, Platz einräumen… erneuern, austauschen, womöglich sichern, schützen…

Ich möchte meine Zeit und meine Energie nicht in derlei Aufgaben stecken. Ich möchte nicht arbeiten (müssen) um mir, wie es so schön heißt, Dinge leisten zu können, die ich nicht brauche, nur um die Nachbarn zu beeindrucken. Wir leben in einer komischen Welt.

Wir bewundern und hoffieren Menschen, die reich sind. Reich an Materiellem. Und missachten jene, die nichts oder wenig besitzen – warum auch immer. Güte, Herzenswärme, Großzügigkeit, Freundlichkeit, Respekt, Achtsamkeit, Hilfsbereitschaft etc. sind keine Werte, die mithalten können mit Gold. Und Geld. Auch wenn dieses womöglich nur von Krediten stammt. Von räuberischen Feldzügen. Geschickten Aktienspekulationen.

Zurück zu den Dingen. Ich weiß heute, dass ich verdammt vieles nicht brauche. Das macht mich frei. Unabhängiger. Und dennoch: jedes einzelne Ding, das ich besitze, das ich in Händen halte, das in meiner Wohnung mit mir wohnt, das hat einen Wert für mich. Ich kenne meine Sachen. Ich achte und ich schätze sie. Jedes einzelne Ding. Es ist manchmal mühsam, sich um seine Dinge zu kümmern. Sie respektvoll zu behandeln. Zu pflegen. Sie gehen zu lassen, wenn die Zeit reif dafür ist. Manchmal kommt Neues nach. Manchmal entsteht freier Raum.

Wir wissen heute aus Psychologie und anderen Wissenschaften, dass es nicht die Dinge sind, die uns glücklich machen, sondern die Abenteuer, die Erlebnisse, die Erfahrungen. Die wir mit anderen, mit der Welt machen. Kaum jemand bereut am Sterbebett, zu wenig gearbeitet zu haben, um sich den neuesten Mixer, einen dritten Sportwagen oder noch ein paar Designerklamotten mehr geleistet zu haben.

Was wir bedauern sind entgangene Erlebnisse, versäumte Begegnungen, verschwiegene Gefühle, ungelebte Träume.

 

Nicht die Dinge geben uns einen Wert, wir geben den Dingen einen Wert.

 

Manchmal zu viel. Manchmal klammern wir uns zu fest an Besitztümer, machen unser Lebensglück davon abhängig. Unser Besitz soll zeigen, wie erfolgreich wir sind. Sind wir das?

Wir haben genug Dinge auf der Welt. Wir können teilen, schenken, spenden, borgen, gemeinsam nutzen. Reparieren, erneuern, weitergeben. Es wäre genug da für alle. Vieles aber liegt ungenützt in den Schränken. Und wir kaufen weiter und weiter und weiter. Und nehmen den Dingen dadurch ihren Wert. Wir verbrauchen Ressourcen ohne Ende. Werfen weg. Vermüllen die Erde. Die Ozeane. Konsum ist eine Droge. Haben-wollen was der Nachbar/die Nachbarin hat. Immer mehr haben wollen, das kurbelt die Wirtschaft an.

Ich bin Minimalistin. Mit Freude. Es ist für mich ein fortlaufender Prozess. Gewohnheiten, Selbstverständlichkeiten hinterfragen. Nicht bedenkenlos zugreifen, sondern innehalten. Brauche ich das tatsächlich? Welchen Wert hat diese Sache für mich? Jetzt und hier und heute. Und morgen. Will ich Zeit und Geld tauschen gegen dieses Besitzstück?

Ich habe erlebt, wie Menschen von ihren Besitztümern nahezu erdrückt wurden. Vor Existenzängsten in die Knie gingen, um den extrem hohen Lebensstandard zu halten. Kaum Zeit für Begegnungen. Für die Liebe. Für lange Spaziergänge. Kuscheln. Innigkeit. Für Gespräche. Austausch. Miteinander lachen. Für die wunderbaren alten (und neuen) Träume.

Wir geben den Dingen ihren Wert. Und kein Ding auf Erden macht uns wertvoller und besser als wir es tatsächlich sind.